Vjossa - ein wirklich wilder Fluss
Unterwegs auf der Vjossa – Ein wirklich wilder Fluss.
Die Flüsse des Balkans haben es uns definitiv angetan. Nachdem wir in den letzten Jahren die Tara und die Una besucht hatten, haben wir uns für dieses Jahr die Vjossa vorgenommen. In der letzten Zeit hatte der Fluss etwas mediale Aufmerksamkeit bekommen, da sie als erster Fluss zum Nationalpark erklärt wurde. Im kompletten Lauf unverbaut und deklariert als der letzte wilde Fluss Europas, das hat uns überzeugt. Circa 170 km von den Bergen bis ins Meer in 5 bis 8 Tagen, je nachdem was kommt.
So machten wir uns etappenweise auf den Weg ins südliche Albanien, genauer gesagt nach Permet. Hier hatten wir einen schönen Campingplatz gefunden, von den wir unsere Tour weiter flussaufwärts starten konnten, unser Fahrzeug und Material lagern konnten und wir auch einen Rücktransport angeboten bekommen haben.
Es ist heiß, in der Sonne über 40 Grad. Wir werfen unseren aufgerollten Otter auf den Hänger von Benni, dem Campingplatzbesitzer und Raft Guide. Zusammen mit 10 aufgeregten Rafting-Gästen werden wir mit flussaufwärts genommen, einige Kilometer vor die griechische Grenze. Zwei Rafts starten mit uns, nach kurzer Zeit haben wir sie schon hinter uns gelassen. Das werden die einzigen anderen Boote sein, die wir auf unserer Tour sehen werden. Die Vjossa fließt hier oben durch eine Konglomeratschlucht, fast wie an der Salza, nur sieht es hier drum herum eher nach Wüste aus. Sie schlängelt sich mit zügiger Geschwindigkeit durch das Gestein mit geringen Schwierigkeiten. Von der Seite kommen immer wieder kleine Wasserfälle, welche die Mittagshitze erträglicher machen. Nach gefühlt sehr kurzer Zeit haben wir schon wieder unseren Ausgangspunkt erreicht. Am Campingplatz halten wir erneut, um unser Boot mit der Ausrüstung und den Lebensmitteln für knapp eine Woche zu beladen. Jetzt fühlt sich das Boot schon anders an und es gilt vorrausschauender zu fahren. Wir passieren die Stadt Permet und die „gefürchtete Walze“ vor Stadteinfahrt, die unseren Otter aber wenig beeindrucken kann. Auf den nächsten Kilometern fahren wir durch abwechslungsreiche Canyons, offenere und bewaldete Abschnitte, mal einsam, mal mit der Straße nebenan. Je weiter man von der Stadt wegkommt, desto weniger sind die Bäume am Ufer mit Plastikmüll vom letzten Hochwasser dekoriert. Der Tag neigt sich langsam dem Ende und wir suchen eine Übernachtungsstelle. Auf den ersten Blick kein Problem, auf den zweiten sind die meisten schönen Stellen in den Canyons bereits durch die umherziehenden Hirten und ihre Herden bewohnt. Wir werden aber trotzdem fündig und freuen uns über eine traumhafte Zeltstelle mit reichlich Holz, Deckung und Aussicht.
Am nächsten Tag ist es bereits morgens heiß. Wir packen unser Boot, auf dem Wasser ist die Hitze gut erträglich. Wir passieren die nächste Stadt Tepelene. Hier halten wir, denn trotz aller sorgsamen Planung fehlt ein essenzieller Ausrüstungsgegenstand: Duschzeug. Wir ergattern ein Stück Kernseife, welches wir sehr lieb gewinnen werden auf der Tour. Die Vjossa hat mittlerweile ihren Charakter verändert. Sie strömt durch riesige Kiesbetten, teilt sich regelmäßig in mehrere Arme auf, die Wasserführung schwankt stark. Um den Fluss herum wird es eben, in der Ferne begleiten uns noch die letzten Berge und Hügel. Zu unseren Seiten begleiten uns Gewitter und heftige Regenfälle, wir aber bleiben trocken und profitieren vom Rückenwind. Unser Nachtlager beziehen wir an einem Sandstrand mit Blick auf Weinberge. In der Ebene grasen Pferde. Am anderen Ufer tauchen immer mal wieder Hunde auf, die möchten wir heute Nacht nicht im Lager haben.
Am nächsten Morgen sieht die Vjossa anders aus. Das Wasser ist gestiegen, das vorher milchig blaue Wasser erinnert jetzt mehr an Cappucino. Fraglich, ob wir das Wasser noch effektiv filtern können. Ab jetzt nutzen wie lieber unsere Kanister und hoffen auf den nächsten Wasserfall. Der Fluss wird wieder schmaler und wir durchfahren einen wunderschönen bewaldeten Canyon. Am ersehnten Wasserfall kühlen wir uns ab und füllen unsere Wasserkanister auf. Nach der nächsten Kurve kündigt sich schon das berühmte Mahnmal für die stetige Bedrohung solcher Naturparadiese an, nämlich die Überreste des Staudammprojektes. Am abgetragenen Berg und am begonnen Betonfundament lassen sich die Ausmaße der Staumauer erkennen. Kaum auszudenken, wie dieses Bauwerk den gesamten Fluss verändert hätte. Am Rand sehen wir die verlassen Arbeiter- und Materiallager. Ein zurückgelassener Bagger versinkt immer tiefer im Kies. Sogar eine mehrspurige Straße und eine Brücke wurden begonnen zu bauen. Zum Glück ist der Fluss nun Nationalpark, denn hier sieht es aus, als könnte die Arbeit morgen weitergehen. Uns ist recht andächtig zumute aber der Fluss holt schnell unsere Aufmerksamkeit zurück. Am Rand eines beschaulichen Canyons ein Stück weiter unten sehen wir eine einzelne Ziege stehen. Plötzlich fängt der Wald an zu bellen, und mehrere Hunde stürmen das steile Ufer hinunter. Uns ist klar, dass es sich um Hirtenhinde handelt, wovon wir schon im Reiseführer gelesen hatten, dass sie das Einzige sind, worüber man sich in Albanien wirklich Sorgen machen muss. Insgesamt versammeln sich 8 von ihnen. Zu unserem Erstaunen springt der Leithund zu uns in den Fluss und versucht schwimmend unser Boot zu erreichen. Unsere Besorgnis steigt zunächst, dann passieren wir aber den Hirten, der allerdings nur mit halbherzig Rufen seine Hunde zurück zu pfeifen versucht. Diese Versuche erweisen sich auch direkt als erfolglos als der zweite Hund von der Kiesbank springt, um uns vom Wasser aus zu erreichen. Als die Schwimmer merken, dass wir mit dem Boot schneller sind, rennen sie immer wieder ans Ufer und versuchen uns an einer günstigen Stelle abzupassen. Wir wollen uns gar nicht vorstellen was passiert, wenn einer dieser Hunde in oder an unser Boot kommen würde, aber unsere Reise wäre mir größer Wahrscheinlichkeit zu Ende. Deshalb ist für uns klar uns mit allen Mitteln zu wehren. Die Verfolgungsjagd dauert gefühlt schon eine Ewigkeit und die Angreifer versuchen immer wieder an einer günstigen Stelle an oder ins Boot zu springen. Einer der Hunde schafft es bis auf gute 40cm an das Boot ran. Beim Anblick der gefletschten Zähne kommt langsam Panik auf. Rufe lassen nur kurzes zögern in den Augen blitzen, erste abwehrende Paddelschläge Richtung Schnauze zeigen wenig Wirkung. Unsere bisher sichere Position in der Flussmitte ist nun auch gefährdet, der Fluss teilt sich in eine schmale Linkskurve und geradeaus in eine mögliche Sackgasse. Wir entscheiden uns für die Kurve, auch wenn wir gefährlich nahe an das Ufer kommen. Das Wasser in der Kurve scheint flach, wir hoffen einfach nicht stecken zu bleiben und leichte Beute zu werden. Die schnelle Strömung trägt uns durch die Kurve und zu unserem Glück wechseln die flachen Kiesbänke zu einem Steilufer. Das Rudel macht kurze Anstalten auch das Steilufer zu erklimmen, bricht aber plötzlich ab und schaut uns kläffend vom Ufer hinterher. Wir haben es überstanden. Filmreif, aber wir hätten gut drauf verzichten können. Erschüttert von dieser Begegnung machen wir uns Gedanken um unser Nachtlager. In der Nähe von dem Rudel wollen wir definitiv nicht zelten.
Wir verlassen den Canyon und der Fluss zeigt erneut ein anders Bild. Staubige Ebenen mit lehmigen Steilhängen an der Seite. Überall begleiten uns die Bienenfresser. Flussaufwärts wird es mittlerweile pechschwarz, die Berge sind komplett im Dunkeln verschwunden. Ein kräftiger Wind pustet den Fluss von diesem Unwetter herunter. In den Ebenen bilden sich regelrechte Sandstürme. Die Sicht wird immer geringer und der Sand wird uns ins Gesicht gepeitscht. Der Wind drückt uns so den Fluss herunter, dass wir die Paddel als kleine Segel benutzen können. So machen wir ordentlich Strecke und befinden uns am dritten Tag schon im Unterlauf des Flusses. Die Landschaft erinnert an die afrikanische Steppe. Hitzeflackern am Horizont, die offene Ebene, der kaffeebraunen Fluss und die lehmigen Ufer. Nilpferde würde hier auch gut ins Bild passen. Wir schlagen unser Lager an einer geschützten Stelle am Ufer auf und lauschen stets nach eventuellem Läuten von Ziegenglocken.
Am nächsten Tag ist der Fluss weiter gestiegen. Wir sind nicht mehr weit von der Mündung ins Meer entfernt. Am Ufer wird das Schilf immer dichter. Ab jetzt wird es schwer mit Zeltstellen. Der Wind arbeitet hart gegen uns. Wir erkämpfen uns teilweise jeden Zentimeter. Am Ufer sieht man immer mehr Unterstände von Fischern, aus Stöcken und Abfall zusammengezimmert. An der Seite Hängen Stellnetze, die mittels Flaschenzugs heruntergelassen werden können. Der Fluss ist hier voll von fingerlangen Meeresfischen. Der Wind ist unerbittlich und zwingt uns zu Pausen in geschützten Bereichen zu machen. Diese nutzen wir für Nickerchen und Essen. Gegen Abend nimmt der Wind ab und unser Ziel kommt immer mehr in Sicht. Der Fluss wird breit und das Meer kündigt sich am Horizont an. Sobald wir aus der Mündung heraustreten, empfängt uns schöner Wellengang. Wir machen noch ein wenig Strecke nahe am Ufer und landen für unser letztes Lager an. Erschöpft, aber glücklich springen wir im Sonnenuntergang ins Meer, machen ein Feuer an dem einsamen Strand. Lediglich ein Jeep mit Fischern begrüßt uns im Vorbeifahren. Wieder wie im Film, aber diesmal deutlich angenehmer.
Am nächsten Morgen haben wir noch 4 km auf See zurückzulegen, wieder mit schönem Wellengang. Unseren Abholort haben wir mittels Googlemaps ermittelt, dort sah es zumindest so aus, als könnte man mit einem normalen Fahrzeug an den Strand fahren. Aber alles klappt wie geplant. Wir werden von einem Freund der Campingplatzbesitzer, dem amtierenden Powerlift Champion Albaniens empfangen. Auf unserer 2-stündigen Rückfahrt werden wir mit Energiedrinks, Powerlift Videos vom Handy, historischen Fakten und kleinen Sightseeingstops wunderbar unterhalten.
So endet unsere Reise auf der Vjossa, durch die Unwetter hinter uns kürzer als geplant aber mehr Glück hätten wir dabei kaum haben können. Mit diesen schönen Erinnerungen kommt bei uns der Wunsch auf, den Fluss irgendwie nochmal das erste Mal paddeln zu können.
Marcel