Vor einigen Jahren kam Ludwig und mir die Idee, die zunächst sehr einfach anhörte: „Lass mal mit ‘nem Tretboot den Rhein runter ins Mittelmeer fahren.“ Bei der ersten Recherche wurde deutlich, dass die geologischen Gegebenheiten so sind, dass theoretisch das ganze möglich wäre, wenn dieses eine „falsche“ Vorzeichen nicht da gewesen wäre. Auf Grund dessen führte die Reise in jenem Sommer über den Rhein in die Nordsee. Doch die Grundidee -Fluss->abwärts->Mittelmeer- war geboren. Nach Auswahl einer geeigneten Tretbootform und -material stand fest, dass es zur leichten Reparatur und Bearbeitung aus Glasfaser sein sollte. Nach einiger Zeit, wurde nun das 30 Jahre alte Schmuckstück für 50 Euro erstanden und in zwei Anläufen wieder restauriert. Das Gute an einem eigenhändig restaurierten Vehikel ist die Gelassenheit, mit der man unvorhergesehenen Ereignissen entgegentreten kann. Diese unvorhergesehenen Ereignisse ziehen sich wie ein roter Faden über die ganze Reise hin.
Da wenige Erfahrungswerte über Flussreisen mit Tretbooten vorlagen, war der Ablauf der Reise, weniger organisiert, als vielmehr improvisiert; das hat zudem den Vorteil das Abweichungen von einem nicht vorhandenen Plan schlicht und einfach nicht vorkommen können. Also das Gefährt stand damit fest. Fehlt nur noch die Route. Richtung Mittelmeer stehen die Alpen im Weg, doch diese kann man kneifen, am besten links, dann fährt man durch diese ganzen Länder, bei denen eh keiner genau weiß, wie die Grenzen gerade verlaufen und landet dann im Schwarzen Meer, dann muss man nur noch rechts, nach ca. 400 km nochmal rechts abbiegen, dann ist man im Mittelmeer. So weit so gut die Wegbeschreibung steht somit fest. Laut Wikipedia scheint die Donau für uns ab Ulm schiffbar zu sein: Ulm (immer dem Fluss folgen ca. 800 km), dann übersetzen auf die Tiza, bis Konstanza, rechts 400 km, rechts, bis da so eine große Moschee ist. Trotzdem haben wir uns Kartenmaterial, Kompass, Gaskocher und eine Schwimmweste geholt und sind fest überzeugt gut gerüstet zu sein.
Zwischendurch ist da auch noch Kultur, wenn man schon mal da ist, schaut man sich natürlich alles an. Die Spanne dieser eigenartigen Kulturdingsda, reicht von imposanten Schlössern und Burgen in Österreich, bis zu einzelnen Bäumen in der Walachei, die aber in Anbetracht der Tatsache das darum herum wirklich nichts ist, viel mehr den Eindruck erwecken: „Das muss Kunst sein oder ein Außerirdischer hat hier seinen Wischmop vergessen.“
Mit ein wenig mulmigem Gefühl steige ich ein, stell mir meine Sitzbierkiste zurecht und trete los. Die Kurzform der Reise chronologisch gegliedert fällt sehr langweilig aus, da das fortdauernde treten, nur vereinzelt unterbrochen wird. Hoch motiviert stechen wir also in Fluss. Nach einigen Tagen stellt sich Routine ein, was nicht negativ zu verstehen ist. Routinen sichern auf einer Reise, dass man vorankommt. Das Wasser ist nicht besonders schwierig zu fahren, man muss sich kaum Gedanken, um Kehr- oder Prallwasser machen. Zudem birgt die Fortbewegung mit einem Tretboot den immensen Vorteil, dass man stets die Hände für jegliche Hauptbeschäftigung frei hat, da das Treten an zur Nebensache wird. Deshalb folgt nun die Beschreibung eines typischen Tagesablaufes:
Aufstehen zwischen 7 und 8 Uhr. – Packen - Abfahrt um 9 Uhr Ab jetzt wird bis zum Nachmittag getreten, lesen bis um 11 Uhr. Frühstück, ca. 2 Stunden. Direkt im Anschluss, das Highlight des Tages: Die heilige Dreifaltigkeit in Form der 3K's Kaffee, Kakao und Kekse 2 Stunden. Neben der Yacht her planschen. Mittagslesung. Gegen 16 Uhr wird eingekauft. Auf nahezu der ganzen Strecke kann eingekauft werden, sodass nach einiger Zeit klar wird, dass Frischmilch ein Luxus ist, den man nicht gegen Outdoor-Nahrung, wie H-Milch, eintauschen will. Stadtbesichtigungen werden zur Nachmittagszeit mit unseren Tretrollern unternommen, da dann die Mittagshitze nachgelassen hat. Nach einer weiteren 3K's wird noch in den Sonnenuntergang getreten, meist begleitet von einem akuten Logorrhoe-Anfall. Abends wird ein geeigneter Strand angefahren und nach einem Feierabendbier das Zelt aufgebaut. Entweder geht es jetzt op jöck oder einfach nur schlafen.
Täglich beginnt mit leichten Abänderungen alles wieder von vorne. Beim Lesen dieses Abschnittes neigt man dazu den Ablauf eher als trist oder kakophon zu bezeichnen doch ist das Gegenteil der Fall. Natürlich ist es eine Entschleunigung, es fallen einem kleine Dinge auf, die sich auf der Reise Richtung Süden verändern. Wobei sich Landschaft und Sprache vergleichsweise rasch ändern kann.
Auf der Reise geht mehrmals an der Yacht etwas kaputt und es bleibt uns auch nicht erspart andere Schiffe von Sandbänken zu retten. Surreal werden auch Gespräche mit anderen Touristen, die auch auf dieser Strecke unterwegs sind. Im Großen und Ganzen lässt sich der Inhalt über die Gespräche mit Personen am Ufer auf folgenden Inhalt reduzieren: „Das ist ja sehr beeindruckend was Sie da machen, aber in dem nächsten Land würde ich sehr aufpassen, das sind ganz Gefährliche...“. Es herrscht in fast jedem Land ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber seinen Nachbarn. Doch das größte Misstrauen hegen alle, da sind sie sich einig, gegen Rumänen und besonders dortige Roma und Sinti. Nach Verlassen des deutschsprachigen Raumes wird die Reise dann auch auf ein neues Level gehoben, jedoch macht das vieles entgegen unseren Erwartungen wesentlich einfacher, da man jetzt den Ausländerbonus hat und die Menschen hier vom Beschützerinstinkt übermannt werden.
Wir fahren also an einem Tag von Wien nach Bratislava. Kontrollen gibt es keine. Das war auch überhaupt recht verwunderlich, dass, obwohl die Donau 37% ihres Verlaufes Staatsgrenzen bildet und auch eine ganze Zeit die Grenze zum Fort EU bildet, sehr wenig Polizei unterwegs ist und man aufpassen muss, dass man die Grenzposten nicht verpasst, damit der Donaupilgerpass auch vollständig ist. Überhaupt sind die Polizisten recht freundlich. Besonderen Dank und Anerkennung geht hiermit an die bulgarische Grenzpolizei, die uns eine Plastikente abgekauft hat, sodass wir mit der neuen Währung einkaufen konnten.
Weiter durch das Donauknie sind wir dann nach Budapest gekommen, pünktlich zur Abschlussfeier des Sziget, eines großen Musikfestival auf einer Donauinsel. Nach einem Wechsel über knapp 100km durch die ungarische Puschta auf die Tiza, fällt dann auf, dass der Flusscharakter ein wesentlich anderer ist. Kaiserin Elisabeth hat die Tiza kanalisieren lassen, sodass das Ufer steil und dicht bewachsen ist und Ein- und Ausstiege genau geplant werden müssen. Der DKV-Flussführer hat uns bis zur ungarischen-serbischen Grenze gut versorgt. Ab dort „...enden [jedoch] die Informationen bis zur Einmündung in die Donau.“ Die Reisebüros und Polizei in Szeget konnten/wollten uns auch nicht weiterhelfen. Es war Feiertag und uns wurde erklärt, dass die Ungarn wieder irgendeine gescheiterte Revolution feiern. Hauptsache es wird gefeiert. Den ein Jahr zurückdatierten Kaufvertrag, der höchst persönlich von Ludwig und mir unterschrieben wurde, haben wir dann auch prompt bei der Einreise nach Serbien gebraucht. Der Zöllner war nur unzufrieden, dass wir vergessen hatten aus der EU auszureisen, wir wussten nur nicht wo. Frohen Mutes reisen wir also nach Serbien ein ohne blassen Schimmer, was uns erwartet. Fragen kommen auf: „Finden die Serben Deutsche eigentlich doof oder gut? Wie vorsichtig sollen wir sein? Immerhin haben uns die Ungarn vor den Serben gewarnt.“ Die Unsicherheit wurde knapp 20m nach dem Grenzposten zerstreut, da wir zum Essen und Trinken eingeladen wurden und das auch die nächsten Kilometer angehalten hat. Gelernt haben wir, dass Kaffee zum Frühstück scheinbar grundsätzlich mit Slibowitz getrunken wird -wegen der Gesundheit- und Bier als nichtalkoholisches Getränk gilt. Überhaupt wird viel, oft und gut gegessen.
Knapp 40km vor Belgrad mündet die Tiza in die Donau. Wir rasen also mit vollem Segel, tretend nach Belgrad. Kurz hinter Belgrad lässt die Strömung nach und die Donau gewinnt an Breite, der Djerdap-Stausee beginnt. Eine Breite von 8km ist keine Seltenheit mehr und wir machen Bekanntschaft mit dem lokalen Wind, genannt Koschawa. Koschawa ist ein Arschloch, er ist sehr launisch und meist gegen uns; zwei Tage sitzen wir auf einer Insel fest, da wir nicht riskieren wollen unerlaubt die andere Flussuferseite zu betreten, dort ist Rumänien. Beeindruckend ist hier vor allem die Landschaft, Gardaseeflair breitet sich aus, wir fühlen uns wie in der Toscana. Viele Ruinen können besichtigt werden, so steht wieder viel Kulturdingsda an. Die Geschichte der Burgen und Dörfer können mit folgenden Worten einfach zusammengefasst werden. Zuerst waren in der Jungsteinzeit Menschen da, die die strategische Lage erkannt haben, dann waren Kelten da, die Burg wurde zur wehrhaftesten Burg überhaupt ausgebaut, vier Jahre später von den Osmanen erobert...
Die Wasserlinie früherer Zeit lag mehrere Meter unter der heutigen, so kommt man nur langsam voran und die Schlucht hat an Imposanz wahrscheinlich stark verloren. Viele historische Eckpfeiler können nur noch von Tauchern und Fischen bewundert werden, wie die Eisenbahnstrecke, mit deren Hilfe die Kähne flussaufwärts gezogen wurden. Nach den imposanten Schleusen Djerdap 1 und 2, die von Serbien und Rumänien in wöchentlichem Wechsel betrieben werden und über 2*15m Hübe Riesen-Schlepper ab- und aufschleusen, ändert sich die Landschaft wieder stark, es geht auf die Walachei zu. Die Donau wird immer flacher und wir laufen mehrmals auf Sand auf. Schiffe fahren kaum noch, da diese eine Wassertiefe von 2,5m benötigen. Beim Abendessen erzählt mir Ludwig, dass die Hafenbehörde uns die Weiterfahrt verboten hat und der Wellengang wahrscheinlich auch zu stark ist. Die Lösung auf diese unerfreuliche Nachricht lautet, dass wir das Boot nach Istanbul schieben müssen. Doch nach eingehender Untersuchung des Wellengangs und der Küste wird klar, dass das für unser Wildwassertretboot kein Problem sein sollte, wir müssen nur mittags immer vom Wasser, da dann der Wellengang zu stark ist. Das Boot also auf einen Transporter geladen, der Hafenbehörde erzählt, dass wir ein Platz zur Lagerung des Bootes gefunden haben und auf in den nächsten Ort um das Boot wieder mit seinem natürlichen Element zu vereinen. Auf dem Meer fahren ist sehr langweilig, das Ufer wird gesäumt von leer stehenden Plattenbauhotels und die Dörfer und Städtchen scheinen verlassen. Selbst der berüchtigte Goldstrand ist leer. So gucken wir, dass die Kilometer purzeln. Als wir uns von einer Segelyacht ziehen lassen geht auch noch das Boot unter und es kann nur schwimmend geborgen werden, doch das Wetter ist gut und wir lassen uns dadurch nicht die Laune verderben. Die Burgas Bay kneifen wir kurzerhand und fahren mutig nach Kompass, doch dann wird der Wind zu stark und wir müssen an Land bleiben. Da wir aus Erfahrung wissen, dass wenn man wartet, man meistens nicht vorwärtskommt, beschließen wir die Yacht gleich einem Karren, bei dem wir selbst die Esel sind, auf dem Landweg weiter zu bringen. Nach knapp 25km ist das Tagesziel erreicht. Am ersten Abend in der Türkei lässt uns der ansässige Muezzin nicht schlafen und brüllt uns ins Ohr. Reisetipp: Stelle dein Zelt nie unter einem Lautsprecher auf, egal wie kaputt der aussieht. Immerhin weckt er uns auch morgens gegen 6 Uhr, sodass wir gut weiter kommen. Istanbul ist sehr groß und lebhaft, leider haben wir von der Stadt wenig gesehen, da wir über vier Tage eine Kur auf dem dortigen Marineamt, wegen Verdachts auf illegale Einwanderung genossen haben. Auf Grund der hervorragenden Arbeit von unserer Dolmetscherin Burcu haben wir dann doch den ersehnten Stempel bekommen und konnten einen schönen Abend in Istanbul genießen, da am nächsten Tag der Flieger ging.
Schön war die Reise, aber um Fragen vorweg zu nehmen: Einmal reicht.
Jan Auth