Unterwegs auf der Träne Europas

Unterwegs auf der Träne Europas

Schon länger hatten wir den Wunsch gefasst, das blaue Herz Europas näher kennen zu lernen. Nach einiger Überlegung fiel unsere Wahl auf die Taraschlucht in Montenegro. Unberührte Landschaften, wenig befahren, über 63 km lang, stellenweise über 1300 Meter tief in Kombination mit einer vertretbaren Anreisedauer und guter Infrastruktur überzeugten uns. Nachdem wir 2020 diese Reise verschieben mussten, fieberten wir schon sehnsüchtig auf unser kleines Abenteuer hin.

Mit dem Spreu Otter im Gepäck machten wir uns zunächst auf den Weg nach München, um unseren dritten Mitpaddler abzuholen. Dann führte uns unser Weg weiter nach Österreich, Slowenien, Kroatien und Bosnien und Herzegowina.

Erfolgreich über alle Grenzen gekommen, trafen wir nun nach ca. 26 Stunden im Ort Zablak im Durmitor-Nationalpark ein. Der Durmitor ist ein wunderschöner, offener Nationalpark, der landschaftlich an einen Mix aus Mongolei, den schottischen Highlands und den julischen Alpen erinnert. In Deutschland eher Raritäten, sind dort Edelweiß und durchaus fahrtüchtige Golf 2 in der Landschaft verteilt häufig anzutreffen.

Aber nun zum Kern der Reise, der Tara. Im Vorfeld hatten wir uns vor allem über die einschlägig bekannte Website Kajaktours.de informiert. Dort wird für den Shuttle Service und die Organisation der „verpflichtenden“ Anmeldung und Übernachtung in den Camps in der Schlucht, ein Mensch namens Miro, gelegen an der Tara Most (Brücke) wärmstens empfohlen. Per Mail hatten wir dies brav umgesetzt und wir fanden uns bei Miro, der aktuell ein großes Adventure Center mit Schwerpunkt auf Zip-Line über die Schlucht betreibt, ein.

Während der Shuttle reibungslos funktionierte, konnte der restliche Service nicht so ganz überzeugen. Da die Tara durch einen Nationalpark fließt, ist eine Befahrungserlaubnis durch die Ranger, die weder Deutsch noch Englisch sprechen, einzuholen. Entsprechend versprach uns Miro am Tag der Abfahrt einen Übersetzer zur Seite zu stellen, um diese Erlaubnis zu erwerben. Da die Übersetzerin am nächsten Tag „Wichtigeres“ zu tun hatte, schickte sie den Fahrer mit, der ebenfalls kaum Deutsch oder Englisch sprach. Entsprechend waren Missverständnisse kaum vermeidbar. Zunächst war den Rangern nicht klar, um was für ein Gefährt es sich beim Spreu Otter handelt und sie überlegten wie drei Personen in ein Kajak passen sollten. Danach stellte sich heraus, dass ein montenigrinischer Bootsführerschein erforderlich sei, den wir natürlich nicht vorweisen konnten. Nach einigem Hin und Her und diversen ans Ohr gedrückten Handys und Erklärungsversuchen, versuchten wir unser Glück mit dem olympischen Sportausweis. Dieser verfügte über eine ausreichend lange Nummer, um der Bürokratie Montenegros gerecht zu werden.

Das schwierigste Hindernis hinter uns gebracht, ging es endlich auf den Fluss. Unter den zuerst kritischen, dann gelangweilten Blicke des Rangers am Einstieg, luden wir unsere vorgepackten Trockensäcke auf unseren Schlauchkanadier. Gut beladen machten wir unsere ersten Paddelschläge im leuchtend saphirblauen Wasser. Nach den ersten Metern starteten die ersten kleineren Herausforderungen im WW3 Bereich. Schöne Schwälle und vereinzelte Steine und Löcher, die sich aber auch mit einem knapp 300 Kilogramm schweren Boot gut fahren ließen. Kurz nach der Brücke ließen die Schwierigkeiten deutlich nach und der Landschaftsgenuss stand im Vordergrund. Mit jedem Paddelschlag hatten wir das Gefühl weiter in eine weite bzw. tiefe und unberührte Landschaft einzutauchen, ohne menschliche Bauten, weitere Boote oder sonstigen „Störfaktoren“ in Sicht.

Unsere erste Tagesetappe bestand von da an aus sehr leichtem Wildwasser in beeindruckender Kulisse. Da es sich bei der Taraschlucht um eine V-förmige Schlucht handelt, kam auch bis in den Nachmittag noch immer wieder die Sonne bis aufs Wasser und lud zu kleinen Pausen auf den Kiesbänken, Felsen oder an den diversen Wasserfällen ein.

Zum Abend hin mussten wir uns um die erste Übernachtung Gedanken machen. Miro hatte uns vor Abreise mitgeteilt, dass die verpflichtende Übernachtung in den Camps der Nationalparkverwaltung nicht mehr so verpflichtend sei, da die Camps zwar noch existieren, aber an Privatpersonen verkauft wurden. Also hieß es für uns einen geeigneten Spot am Ufer zu finden. Eine kleine Anhöhe mit gerader Wiese schien da genau richtig, weg vom Wasser und der heraufziehenden Kälte in der Nacht. Boot befestigt, Zelte aufgebaut und schon konnte gekocht werden. Seltsam waren nur die Kuhfladen, die verstreut auf der Wiese lagen, so mitten im Nirgendwo, ohne Wege in der Nähe und einer hunderte Meter hohen Felswand im Rücken. Das Rätsel wurde gelöst als am nächsten Morgen ein wilder Bulle mit seiner Kuh durch unser Lager stapfte, irritiert an unseren Zelten schnüffelte und wie wild die Flucht ergriff.

Etappe 2 unserer Schluchtbefahrung gestaltete sich zunächst wie der Vortag. Leichtes Wildwasser wechselt sich mit Flachwasserabschnitten ab. Überall wo man hinschaute ein Paradies aus Wasser, Fels und Pflanzen. Überall an den Ufern flatterten Schmetterlinge, hin und wieder sprang eine Gams erschrocken die Abhänge hoch, irritiert durch unsere Anwesenheit. Dunkle schnelle Schatten von Forellen schossen ab und zu durch das Wasser. Die Wasserfälle wirkten wie Schreine aus Wasser, Moos und Stein. Keine Menschen in Sicht, der Fluss gehörte scheinbar uns allein. Ein Gefühl von beruhigender Abgeschiedenheit, während wir eifrig versuchten, die ganze Schönheit um uns herum mit unseren Blicken aufzusaugen.

Mit Annäherung an die bosnische Grenze nimmt zeitgleich der zivilisatorische Einfluss und auch die Schwierigkeit zu. Der Fluss wird abrupt steiler, die Verblockung nimmt zu. Nach dem zweiten bosnischen Camp erreicht die Tara ihren fahrtechnischen Höhepunkt mit wuchtigen Schwällen und ansehnlichen Löchern. Mit einiger Kraft und Konzentration wuchteten wir unser behäbiges Boot durch die Schwierigkeiten. Schon nach wenigen Wellen saßen wir bis zur Hüfte im Wasser, trotz offener Lenzluke. Zum Glück hielten die Spanngurte unserer Packsäcke stand, lediglich die Pumpe und eine zuvor gefangene Forelle verabschiedeten sich in den Fluten. Mit beginnender Abenddämmerung steuerten wir ein Camp auf montenigrischer Seite an. Die Aussicht auf eine heiße Dusche und ein kaltes Bier waren doch verlockender als die Zeltplatzsuche am Ufer im Halbdunkeln.

Gut erholt starteten wir in unsere letzte und mit Abstand kürzeste Etappe. Mit den meisten wildwassertechnischen Schwierigkeiten hinter uns, genossen wir die leichten Schwallpassagen und letzten Eindrücke des Schluchtidylls mit der traurigen Gewissheit, dieses Paradies schon sehr bald verlassen zu müssen.

Unser Abholpunkt war ein Cafe am montenigrischen Ufer. Mit gemischten Gefühlen gingen wir an Land, denn obwohl noch 4 spannende Tage in Montenegro vor uns lagen, wussten wir, dass wir das Highlight unserer Reise hinter uns hatten. Nach 45 Minuten Wartezeit und steigender Nervosität, ob unser Fahrer tatsächlich auftauchen würde, machten wir uns auf den a2,5-stündigen Rücktransfer durch die Schluchten und Berge. Typisch für den Pragmatismus und die Geschäftstüchtigkeit der Leute, wurden auf dem Weg auch spontan Straßenarbeiter und Tramper eingesammelt und wieder abgesetzt.

An unseren letzten Tagen in Montenegro lernten wir noch weitere Flüsse kennen, die wir nicht mit dem Boot, sondern zu Fuß erkundeten. Egal ob Moraca, Drina oder die vielen Bäche in den steinigen Tälern, deren Name man nur selten irgendwo auf Karten findet, die Ursprünglichkeit und strahlende Schönheit dieser Fließgewässer beeindruckte uns alle nachhaltig.


Gerade für uns als Deutsche ist es kaum zu glauben, dass Flüsse so aussehen können und wir hoffen, dass diese einzigartigen Naturjuwelen nicht dem Hydropowerwahn zum Opfer fallen, der den gesamten Balkan und das blaue Herz Europas bedroht.

Geprägt von dem leuchtenden Saphirblau der Flüsse Montenegros, kam uns die Soca auf unserem Zwischenstopp auf dem Rückweg schon beinah blass vor. Für uns steht jedenfalls nach dieser Reise fest, der Balkan und das Blaue Herz werden für uns ein paddlerisches Langzeitprojekt.

Für mehr Infos und zum aktiv werden gegen die systematische Zerstörung der letzte europäischen Wildflüsse:

 

Hannah und Marcel

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